«Warum erkrankt der Mensch?» gehört zu den Kernfragen der Gegenwart. Es gibt kein Gebiet des sozialen Lebens, in welches nicht pathologische und therapeutische Fragestellungen hereinspielen. Vieles in der gegenwärtigen Kultur ist kränkend: Unsicherheit, Angst, Identitätsprobleme, Grenzüberschreitungen in Form von Missbrauch und Gewalt, sowohl seelisch als auch körperlich, bestimmen das Lebensgefühl und nicht selten auch den Alltag vieler Menschen. Umso mehr erweist sich die Erschließung von Gesundheitsquellen, nicht nur auf körperlicher, sondern insbesondere auch auf seelischer und geistiger Ebene, als Zeiterfordernis. Darüber hinaus stellt sich für die Medizinische Sektion die ganz grund- legende Aufgabe, die therapeutischen Aspekte im Wirken der anderen Fachsektionen aufzusuchen, zu beleuchten und durch Zusammenarbeit zu fördern.
Dazu aber bedarf es einer Neuorientierung zu den Fragen, was Pathologie und Therapie, Krankheitsentstehung und Heilung tatsächlich sind. Aus dieser Neuorientierung erwächst die Kernaufgabe der Medizinischen Sektion. Diese besteht darin, die Anthroposophie als spirituelle Wissenschaft in die naturwissenschaftlich orientierte Medizin zu integrieren und daraus das «medizinische System der Anthroposophie» aufzubauen. In diesem System werden die naturwissenschaftliche und die spirituelle Seite der Krankheit so erarbeitet, dass diese als «physische Imagination vom geistigen Leben» erkannt werden kann. Das heißt, der physische Leib offenbart durch seine Krankheitssymptome eine «unbewusste Selbsterkenntnis – ein unbewusstes Einweihungserlebnis»
In einem seiner Notizbücher skizziert Steiner diese Selbstbegegnung in der Krankheit als unbewusste Begegnung mit dem «Hüter der Schwelle», das heißt mit der ganz persönlichen Schicksalsführung:
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Es strömen an der Schwelle
Sinnesdunkel und Geisteshelle
Zum Blendwerk ineinander.
Dieses Blendwerks Abbild
Ist die Krankheit
In der Krankheit lebet der Hüter.
Begegnung im Geist bewusst
Begegnung im Körper unbewusst.
(Rudolf Steiner)
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Die hier angedeutete spirituelle Sicht der Krankheitsentstehung und -vorbeugung eröffnet neue Aspekte für Diagnose und Therapie.
Gesundheit hingegen erweist sich als Ergebnis von Erziehungs- und Selbsterziehungsprozessen, die sich am Leben und den eigenen Entwicklungszielen orientieren. In dem von Ita Wegman und Rudolf Steiner gemeinsam verfassten Buch «Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen» (GA 27) zeigen die Autoren den Weg nicht nur zu den Grundlagen anthroposophisch-medizinischer Forschung, sondern auch zur Ausbildung und therapeutischen Praxis.
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In ihrem Perspektivbild der ISAN ist zu lesen: Die aufkommende Dichotomie von den so sehr negativ anmutenden Willenseingriffen zur Wahrung der Integrität und des freien Willens des Patienten löst sich auf, wenn der Heilkundige die Fähigkeit erwirbt, ein gültiges Ideal für den Patienten zu denken und dieses mit rationaler Autorität und Fachkunde zu vertreten.
Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ist ein Prozess und unterliegt der progressiven Entwicklung des Heilkundigen, der seine freiheitsfördernde, aufklärende und verantwortliche Tätigkeit grundsätzlich zur wachsenden Selbstbestimmung des Patienten anwendet.
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Dies geschieht dadurch, dass anthroposophische Heilpraktiker ihre eingesetzten heilkundlichen Methoden mittels des anthroposophischen Erkenntnisweges menschenkundlich mit verbindlichem Bezug auf die Neuen Mysterien durchdringen, wie sie von Rudolf Steiner bei der Weihnachtstagung 1923 begründet wurden. Diese beinhalten neben der individuellen Aneignung auch die Forschung und Lehre auf diesem Gebiet.
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So möchten die anthroposophischen Heilpraktiker es dem Patienten ermöglichen, sich durch Überwindung der Krankheit an sein Urbild anzuschließen, das er von Beginn seiner Evolution an in sich trägt und welches sein individuelles Ideal ausmacht, das ihn in die Zukunft führt.[1]
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Die Mitglieder der ISAN bemühen sich über die berufsspezifischen Arbeitsfelder hinaus um die Förderung der Anthroposophie. Sie bilden sich in der Anthroposophie weiter sowohl im Hinblick auf die therapeutischen Verfahren, den persönlichen Schulungsweg des Heilkundigen, seiner sozialen und ethischen Ausrichtung, der Wertschätzung des Mitmenschen, als auch im nachhaltigen Umgang mit der Umwelt.
Forschung und Weiterentwicklung im Bereich der anthroposophischen Heilkunde ist ein Grundanliegen der ISAN.
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Im Rahmen der Medizinischen Sektion arbeitet die ISAN in dem Leitungskollegium der IKAM (Internationale Koordination Anthroposophischer Medizin) an der Entwicklung der anthroposophischen Medizin mit.
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[1] Siehe Leitbild Anthroposophischer Heilpraktiker, Spöktal 2016
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Literaturtipps
Adolf Baumann: Wörterbuch der Anthroposophie Taschenbuch, ISBN-13 : 978-3478084468
Rudolf Steiner: Anthroposophie: Weisheit vom Menschen, ISBN-13 : 978-3867721554​
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